Angst ist ein schlechter Ratgeber
Die Börse fährt Achterbahn, der Wert vieler Depots ist stark gesunken. Angesichts fallender Kurse verkaufen viele Anleger ihre Aktien. Vor psychologischen Einflüssen auf «Kaufen» und «Verkaufen» sind auch Parkett-Profis nicht gefeit. Sie haben aber von Finanzpsychologen gelernt, damit umzugehen. Von deren Kniffen können auch Kleinsparer profitieren.
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Der erste Grundsatz lautet: Eine starre Planung festlegen und sich auch in Krisenzeiten nach ihr zu richten - komme, was wolle. Sparer sollten also möglichst keine Entscheidung unter Druck treffen. «Nicht auf einen Trade Haus und Hof setzen», so formuliert das Gianni Hirschmüller, dessen Firma Cognitrend in Frankfurt im Auftrag der Deutschen Börse und von Großbanken das Verhalten von Kapitalmarktprofis analysiert.
Die Erfolgreichen verstünden es zudem, «kleine, aber lohnende Gewinne einzufahren». Während Börsianer Gewinne also nutzen, um einen Puffer für Fehlentscheidungen aufzubauen, machen viele kleine Erfolge unerfahrene Anleger oft eher übermütig. Sie bekämen das Gefühl, «man hat den Markt verstanden und im Griff», sagt Hirschmüller - das Anlageverhalten wird aggressiver, das Verlustrisiko steigt.
Experten wie Kleinanleger tappen dabei in die gleiche psychologische Falle: Sie stocken die Bestände auf - in der trügerischen Annahme, so wieder aus den Miesen zu kommen. «Das Problem ist nur: Ich verliere eine Menge Geld», sagt Hirschmüller. Gewinnt am Ende die Angst die Oberhand, verlieren Investoren häufig den Kopf. «Sie denken nicht mehr so wie nötig. Das ist kein Fehlverhalten, sondern menschlich nachvollziehbar.»
Um die unangenehme Situation zu vermeiden, empfiehlt der Experte, ein Engagement von Anfang an sorgfältig zu planen: In Euro und Cent wird dabei am besten festgelegt, wie lange Aktien, Fonds oder Zertifikate im Depot bleiben sollen. Und die Kernfrage muss lauten: «Ab wann bin ich nicht mehr bereit zu halten? Bei zehn Prozent Verlust? Oder der Hälfte?» Die Antwort wird als Stop-Loss-Order bei der Bank platziert. Ähnliche Grenzen können für Gewinne gezogen werden.
Eine Alternative ist der Computerhandel mit starren Regeln. Der Vorteil dabei lautet: Die Maschine kennt keine Gemütsschwankungen. Trotzdem kann es auch bei diesem Vorgehen «menscheln». Denn oft misstrauen Aktienbesitzer den PC-Signalen und verzichten auf die geforderten Aktionen. Anleger Markus Schäfer aus Frankfurt kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: «Der Kurs stand bei 7000, aber ich habe gedacht...» - und nun sind seine Wertpapiere noch ein paar Euro weniger wert.
Die Psychologin Katharina Sachse aus Berlin vertraut auf die Kombination von Kopf und Bauch. Grummelt der Magen, ist es Zeit nachzudenken, sagt Sachse, die für ihre Doktorarbeit an der Technischen Universität untersuchte, wie Privatanleger Investitionsrisiken einschätzen. «Wenn die Intuition sagt: "Am besten alle Aktien verkaufen", muss man tief Luft holen und Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen.» Mit Abstand und in Ruhe sollten alle Möglichkeiten geprüft werden. In ihrer Arbeit kommt die Psychologin aber zu dem Ergebnis: «Sorgen, zum Beispiel um Rechnungen oder darum, die Ausbildung der Kinder nicht bezahlen zu können, beeinflussen stärker als Kursschwankungen oder Verlustrisiken.»
Profis beziehen den Sorge-Faktor in ihre Risikoeinschätzung ein. Dass das in der aktuellen Krise fehlschlug, führt Sachse auf fehlende Erfahrungen mit Bankenpleiten und deren Folgen zurück. «Das lag außerhalb der Vorstellung und Wahrscheinlichkeit.» In Zukunft werde sich das ändern, sagt die Psychologin unter Berufung auf Erkenntnisse aus der Medizin voraus: Sobald vor Operationen der kleinste Hinweis auf Komplikationen zur Sprache kommt, «reicht allein das Erwähnen der Tatsache, um Angst auszulösen.»
Aus ihrer Forschung folgert Sachse außerdem, dass Anleger in der Regel intuitiv Bekanntes bevorzugen: «Das Image einer Branche, das Land, das Vertraute hat Vorteile gegenüber Risiko und Rendite.» Deshalb erwartet sie, dass die Anleger künftig wieder «vorsichtiger werden und spekulative Anlagen meiden» oder komplett auf Wertpapiere verzichten.
Ein Prinzip aber werde bleiben: An Verlusten sind immer andere schuld, während es bei Erfolgen «die Regel ist, sich selbst auf die Schulter zu klopfen». Hinzu kommt, dass Gewinne weniger stark wahrgenommen werden als Verluste in gleicher Höhe. Ein falsche Beraterempfehlung genügt also oft, um das zuvor mit zehn guten Tipps gewachsene Vertrauen zu zerstören. Wer das weiß, kann Fehler in Zukunft möglicherweise besser vermeiden.
«Ruhe bewahren ist angesagt», so lautet jetzt der Ratschlag von Gerrit Fey vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) in Frankfurt. In Zeiten, in denen selbst Profis «dem Herdentrieb» nicht entgehen, sollten gerade Kleinanleger einen kühlen Kopf bewahren. «Wer jetzt kein Geld benötigt, ist also besser dran, wenn er sein Depot nicht anrührt.»
Das DAI rät dazu, Aktien grundsätzlich über viele Jahre zu halten. Um aber zehn, zwanzig Jahre durchzuhalten, investieren weitsichtige Anleger nur Summen, die sie langfristig nicht benötigen. Denn eine Lehre zieht Hirschmüller, der den Markt seit Ende der 80er Jahre beobachtet, aus der Vergangenheit: «Aus Wellenbörsen haben sich neue Höhenflüge entwickelt.»