Auf der Jagd nach wertlosen Aktien
Manche Anleger sind ständig auf der Jagd nach wertlosen Papieren - allerdings solchen aus vergangener Zeit. Die Sammler von «Nonvaleurs», wie längst ungültige Börsenpapiere auch heißen, zahlen sogar viel Geld für die historischen, lange schon abgelaufenen Titel. Die Zahl der Sammler ist zwar gering - nach Angaben des Handels aber steigend.
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Wie in anderen Staaten gibt es auch in Deutschland einen eigenen Markt für die «Nicht-Werte» von der Börse. Auf ihm tummeln sich Auktionsveranstalter, Fachhändler und Sachverständige. Kataloge, Literatur und eine Fachzeitschrift weisen Einsteigern und Liebhabern den Weg. «Das Laub der Börse» nennt der vereidigte Sachverständige Hans-Georg Glasemann aus Frankfurt die für den regulären Handel wertlosen Papiere. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich auch in Deutschland ein «funktionsfähiger Sammlermarkt» für die sogenannten Historischen Wertpapiere etabliert. Ihre Zahl ist unübersehbar.
Vor wenigen Jahren, als die Tresore der ehemaligen Reichsbank in Berlin geöffnet wurden, kamen etliche «Nonvaleurs» hinzu. Denn dort lagerten an die 30 Millionen der alten Papiere. Diese Vielzahl ist verwirrend und überfordert viele. Brauereien, Bergwerke, Industriebetriebe, Eisenbahngesellschaften, Schifffahrtslinien, Banken und selbst Zoos - sie alle brachten Aktien auf den Markt, um zu Kapital zu kommen. Glasemann rät Einsteigern, sich beim Sammeln auf ein möglichst eng umrissenes Gebiet zu konzentrieren: «Sonst sieht man kein Ende.» So kann man sich beispielsweise auf Länder oder Branchen spezialisieren und dabei wieder Schwerpunkte setzen.
Wer zum Beispiel die beliebten Papiere alter Eisenbahngesellschaften sammelt, wird seine Kollektion kaum jemals komplettieren können. «Allein in den USA brachten im Jahr 1890 an die 16 000 Gesellschaften ihre Papiere an die Börse», sagt Ralf Hell, Chef des Handelshauses Historisches Portfolio in Völklingen (Saarland). Diese Aktien seien besonders durch ihre künstlerische Gestaltung in Stahlstichdruck beeindruckend.
Auch Abbildungen von Schiffen und Industrieanlagen, Dekor im Jugendstil, in Art Déco oder gar Historismus schmücken die Papiere, deren Wert einst über Aufstieg und Niedergang von Volkswirtschaften entschied. Und sie schrieben Wirtschaftsgeschichte. So liegen in den Mappen der Sammler Aktien wie die der Suezkanal-Gesellschaft oder jener, die den Eiffelturm finanzierte. Die erste Aktie gab die Niederländische Ostindien-Compagnie im Jahr 1606 heraus, um den Handel mit den Kolonien zu finanzieren.
Kolonialbesitz führte auch zur Emission der ersten deutschen Aktie, erklärt Reinhild Tschöpe, Inhaberin des Auktionshauses Tschöpe für historische Wertpapiere und Finanzdokumente in Kaarst im Rheinland. Im Jahr 1682 wurde die kurfürstlich Brandenburgische-Afrikanische Compagnie gegründet, die den Handel an der unter deutscher Hoheit stehenden Guineaküste betrieb - einschließlich des Geschäfts mit Sklaven.
Alte Wertpapiere müssen nicht teuer sein. «Schon ab 5 Euro kann man ordentliche Altaktien kaufen», sagt Tschöpe. Doch es gibt auch richtige Schätze. Dazu gehört eine Gründeraktie der Standard Oil mit Originalunterschrift von John D. Rockefeller, die 1997 bei einer Auktion für 270 000 Mark den Besitzer wechselte. «In der Regel bewegen sich die Preise im zweistelligen Euro-Bereich. Nur Spitzenwerte liegen darüber.»
«Lieber Klasse statt Masse», lautet Hells Rat für Sammler. Und er warnt vor übertriebenen Hoffnungen auf einen schnellen Gewinn. «Nur ausgewählte Stücke verzeichnen Wertsteigerungen.» So sollte man sich bei größeren Investitionen in dieses Hobby von Fachhändlern beraten lassen und auch Sachverständige zurate ziehen. «Auf jeden Fall muss man Preise vergleichen und sich in der Fachliteratur informieren.»
«Es werden auch Fälschungen angeboten», sagt Glasemann. Experten weisen darauf hin, dass selbst Farbkopien als vermeintliche Schnäppchen auftauchen. Echte Aktien erkennt man an Blindsiegel, Wasserzeichen und Guillochen - das sind vielfach verschlungene symmetrische Figuren aus feinen Linien. Und weil sie aufwendig entworfen sind, finden historische Wertpapiere längst auch als dekorativer Wandschmuck Verwendung - gerahmt oder simpel zwischen Glas geklammert.
Tschöpe warnt aber davor, wertvolle Papiere an die Wand zu hängen - vor allem, wenn sie womöglich noch Originalunterschriften tragen. «Das Papier verblasst unter Lichteinfall. Besser eine Farbkopie aufhängen und das Original geschützt aufbewahren.» Denn unter den Unterzeichnern sind solche, die auch außerhalb der Börsenszene oder der Sammlergemeinde Rang und Namen haben: Johann Wolfgang von Goethe setzte seine Unterschrift zum Beispiel als Mitglied der zuständigen Bergwerkskommission unter ein Papier des Ilmenauer Kupfer- und Silberbergwerks. Und Walzerkönig Johann Strauss signierte die Papiere zur Finanzierung des Baus der Komischen Oper Wien.
(Internet: www.nonvaleurs.de)